»Überfällige Streitschrift«

Gericht und Jugendamt stehen bei Trennungen nach häuslicher Gewalt längst nicht immer aufseiten der Mütter. Ein Umstand, der mit »Mütter klagen an« von Christina Mundlos in die Öffentlichkeit getragen wird

der Freitag, Ausgabe 09/2023, Lea Martin

Was hier geschildert wird, ist ganz legaler Kindesentzug: »Frühmorgens hörten wir Geräusche, Max weckte mich: Mama, es ist so laut. Es war die Polizei, die mit Gewalt, deren körperliche Folgen ich bis heute trage, Max aus seinem Zuhause riss.« Christina Mundlos beschreibt in ihrer couragierten Streitschrift Mütter klagen an. Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht eine Strafmaßnahme gegen Frauen, die sich von gewalttätigen Partnern trennen.
Die Zahl dieser sogenannten hochstrittigen Trennungen, bei denen der Mann der Frau, die ihn verlässt, den Krieg erklärt, wird auf circa zehn bis 20 Prozent geschätzt. Mit steigender Tendenz. Zwischen 2010 und 2019 hat sich die Zahl von Sorgerechtsverfahren um rund 25 Prozent erhöht. Verlässliche Zahlen, wie viele Frauen ihre Kinder durch Familiengerichte verlieren, liegen zwar nicht vor. »Selbst wenn es nur um eine einzige Gewaltform wie Stalking geht, geben bereits 31 Prozent aller Frauen an, dass sie diese nach der Trennung durch den Ex-Partner erlebt haben.«

Überhört und entrechtet
Die Aussicht, Beziehungsgewalt durch Trennung zu beenden, wird von der Autorin als eher gering eingeschätzt; »Mütter haben aktuell keine guten Chancen, sich und ihre Kinder zu schützen, wenn sie selbst oder die Kinder Gewalt durch den Vater erlebt haben.« Der Grund: Blindheit in Sachen Beziehungsgewalt. »Was Familiengerichte und Behörden Kindern antun, ist eine der schrecklichsten Formen von Gewalt. Sie setzen die Gewalt, die die Kinder psychisch und physisch bereits durch ihre Väter erlebt haben, nahtlos fort. Das ist eine Menschenrechtsverletzung!«
Männer haben gegenüber Institutionen die besseren Karten, nicht nur weil sie mehr Geld, mehr soziale Unterstützung und also auch die besseren Anwälte haben. Vor allem kämpfen sie mit harten Bandagen, gegen weitgehend wehrlose Frauen. 
»Bis heute sind es 45 volle Aktenordner und Max ist inzwischen elf. Er lebt beim Vater und hat seit mehr als einem Jahr keinen Kontakt mehr zu mir.« Oft, wenn in den letzten Jahren das Thema Mütter für Schlagzeilen sorgte, stand der Name der Feministin Christina Mundlos dahinter, die als Coach ausschließlich Frauen berät.
Vor allem ihr Buch Gewalt unter der Geburt ermutigte Mütter, über  bislang tabuisierte Erfahrungen zu sprechen. Ihr neuer Titel ist überfällig. Was sich auf Initiative von Jugendämtern und Familiengerichten in Familien alleinerziehender Frauen abspielt, muss an die Öffentlichkeit.
Im einleitenden Teil ihres Buches legt die Autorin plausibel dar, durch welche Mechanismen alle professionell Beteiligten im Justizsystem voneinander abhängen und welche Narrative dazu führen, dass viele von ihnen vor Beziehungsgewalt die Augen verschließen, teils aus Voreingenommenheit, vor allem aber infolge fachlicher Inkompetenz. Die Regel, dass zu jedem Streit zwei gehören, gilt nicht für Gewalt. Eine Mutter berichtet: »Ich war schockiert davon, dass niemand der Verfahrensbeteiligten auch nur annähernd etwas über häusliche Gewalt und Täterstrategien zu wissen schien. Es war, als gäbe es das einfach nicht. Das Mantra schien: Man darf den Kindern diesen überaus liebenden Vater nicht vorenthalten!« Die Verfahrensbeiständin Carola Wilcke bestätigt: »Häusliche Gewalt existiert quasi nicht für das Familiengericht.«
Das Buch ist in drei Teile geteilt. Zunächst werden die juristischen Hintergründe erläutert, vor denen sogenannte Inobhutnahmen durch Jugendämter drastisch zunehmen und hochstrittige Trennungen immer häufiger dazu führen, dass Frauen via Gerichtsbeschluss ihre Kinder verlieren. Dann kommen betroffene Mütter zu Wort. Interviews mit ExpertInnen wie dem Soziologen Werner Hammer, dessen 2022 veröffentlichte Fallstudie zum Familienrecht in Deutschland die wesentliche theoretische Basis darstellt, runden die Streitschrift ab. Der Dreiklang aus statistischer, persönlicher und Expertenwahrheit macht Mütter klagen an zu einem informativen wie aufwühlenden Buch, das nicht nur Müttern, sondern auch ihren Kindern eine Stimme gibt.
In Fallbeispielen wird spürbar, wie massiv sie unter der Ignoranz von Institutionen leiden, die Vätern viel zu leicht eine Persilschein ausstellen, wenn sie nachehelich ein Interesse an ihren Kindern zeigen, von dem vorher wenig zu spüren war, während Mütter überhört, abgewertet und entrechtet werden. »Das Gutachten wurde erstellt und was dann kam, hat mich fast zerbrechen lassen. Alissa musste mit zweieinhalb Jahren zu ihrem Vater ziehen. Meine Beschwerde wurde abgelehnt und ich hatte nur noch alle 14 Tage Umgang, keine Ferien, keine Feiertage.« Christina Mundlos zeigt auf, wie gewaltbereite, nicht-kooperative Männer das Ziel einvernehmlicher Lösungen, das seit 2009 in Familiengerichten verfolgt wird, unterwandern, indem sie Mütter durch eine Flut von Verfahren in die Knie zwingen. »Der Rekord liegt bei 135 Verfahren, die eine Mutter über sich ergehen lassen musste«, berichtet Verfahrensbeiständin Wilcke. Viele Frauen können den juristischen Waffen weder finanziell noch emotional standhalten.
Ihr Vertrauen in das Rechtssystem und die Kooperationsbereitschaft sowohl des (Ex-)Partners als auch der Jugendämter und Gerichte wird zur Falle. Die Tipps für Mütter, die das Buch abrunden, beinhalten daher vor allem den Rat, familiengerichtliche Verfahren möglichst zu vermeiden. Das wichtigste Anliegen aber zielt in Richtung Politik und Justiz: »Um Gewaltschutz gewährleisten und umsetzen zu können, muss dieser Vorrang haben vor Umgangs- und Sorgerechtsansprüchen.« 

Einhorn des Familiengerichts 
Der unbegrenzte Zugriff von Tätern auf ihre Opfer über den Umweg Umgangsrecht muss unterbunden werden. »Gewaltschutz kann bedeuten, dass gewalttätige Vätern vom Umgang mit ihren Kindern ausgeschlossen werden.« Die Autorin findet ein einprägsames Bild dafür, dass dieser sogenannte »Umgangsausschluss« viel zu selten geschehe, wenn sie schreibt: »Der Umgangsausschluss ist so etwas wie das Einhorn des Familiengerichts. Kaum eine Mutter hat ihn je gesehen.«
Einer journalistischen, geschweige denn wissenschaftlichen Recherche hält dieser bildhafte Befund zwar nicht stand. Auf Anhieb sind im Netz mindestens zwei Entscheidungen zu finden, in denen das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden zweier Väter, denen der Umgang mit ihren Kindern verwehrt wurde, zurückgewiesen hat.
Die höchstrichterlichen Begründungen lesen sich wie die Blaupause für eine Rechtsprechung, die auf Seiten der Kinder und ihrer Müttern steht, denen man zubilligt, Belastungsgrenzen zu haben. Dass Christina Mundlos diese Urteile nicht erwähnt, passt jedoch zum Charakter ihres Buches, das keine wissenschaftliche Studie, sondern ein Plädoyer ist und daher einseitig sein darf. Immerhin treibt die Väterbewegung die Entrechtung von Müttern seit über zwanzig Jahren erfolgreich voran.
Es geht auf ihr Konto, wenn Kinder vor Gerichten als Geisel benutzt werden, um Frauen zu bestrafen. Mütter klagen an stellt sich auf Seite derer, die am Erfolg der Väterbewegung kaputt gehen. »Ich habe es aufgegeben, mich und meine Kinder vor Gewalt zu schützen zu wollen. Ich versuche nur noch, dafür zu sorgen, dass wir an ihr nicht zerbrechen.« Es ist an der Zeit, dass die Frauenbewegung ihr Herz für Mütter entdeckt. Die Streitschrift von Christina Mundlos gibt hierzu einen wichtigen Anstoß.

Christina Mundlos: Mütter klagen an. Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht, 262 Seiten, Softcover, Büchner-Verlag eG, 2003, Marburg, 22 €, ISBN (Print) 978-3-96317-332-5 

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