Wenn dich jemand zwingt

Siebenundzwanzig Jahre später …

Wenn dich jemand zwingt, Schulden zu machen

Ich war knapp dreißig, mein erstes Manuskript war fertig, ein befristeter Job lief gerade aus. Unvorstellbar, dass meine Unterschrift unter Kreditanträgen landen könnte, deren Summen mich um den Schlaf bringen würden. Und dann geschah etwas, das mich Dinge tun ließ, die nicht zu mir passten und für die ich mich schämte. Denn hatte mich jemand gezwungen? Kann man das überhaupt, jemanden zu einer Unterschrift zwingen? 

Erzwungene Unterschriften kennen wir aus Diktaturen, wo sie politisch gewollte Geständnisse besiegeln, die durch Folter erpresst worden sind. Die rechtsstaatlichen Spielregeln sehen Unterschriften als Akt der Freiwilligkeit an. Wer oder was konnte mich zwingen, Kredite zu unterschreiben, die ich nicht aufnehmen wollte? Ich stehe ungern in jemandes Schuld, ein Leben auf Pump ist mir zuwider. Der Zwang hatte nicht die Form einer Waffe, die an meine Schläfe gehalten worden wäre, und fand in keinem Gefängnis statt, sondern in meiner eigenen Küche. Plötzlich lag ein Kreditantrag vor mir auf dem Tisch, überrumpelte mich, ich wusste nicht, worum es ging.

Eine Kleinigkeit habe ich vergessen zu erwähnen: Unter meinem Herzen wuchs mein Sohn, und darin blühte der Traum von Familie. Ich hatte bereits eine Tochter und konnte mir nicht vorstellen, zwei Kinder allein groß zu ziehen. Der Mann, den ich liebte, stellte Bedingungen, deren erpresserischen Charakter ich wie durch einen Schleier wahrnahm. Statt sich mit mir auf unser Kind zu freuen und mit mir gemeinsam zu überlegen, wie es weitergehen könnte, fasste er Pläne, die ich nur noch unterschreiben sollte. Nur. Dieses Wort nahm einen wichtigen Platz in meinem weiteren Leben ein. »Es ist doch nur eine Unterschrift. Nur ein Stück Papier.« Zeitgleich zur Heiratsurkunde unterschrieb ich den ersten Kreditantrag für eine Eigentumswohnung, die ich nie gesehen hatte, aber das spielte für meinen Mann keine Rolle. Er hatte keine Lust mit mir zu diskutieren, schon gar nicht über das Geld, das er verdiente und mit dem er machte, was er für richtig hielt: Steuern sparen. Um Steuern zu sparen, heirateten wir am 30.12., so dass sich der Splittingvorteil rückwirkend auszahlte: für ihn. Wie konnte ich so dumm sein zu unterschreiben?! Wieso sprang ich nicht vom Küchentisch auf und rief: So nicht…! Nicht mit mir..! 

Immer wieder habe ich mir später diese Frage gestellt. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Ich konnte es nicht. Hätte mein Mann mich geschlagen, in mir wäre eine Alarmsirene angegangen. Dass es Formen von Gewalt gibt, die keine blauen Flecken erzeugen, wusste ich nicht. Und es gab auch niemanden, der mich darauf aufmerksam gemacht hätte. Nach außen wirkte mein Mann treusorgend. Er verdiente genug Geld für uns beide, was war mein Problem? 

Erst am Ende meiner Ehe, als ich herausfand, dass ich zwar Kredite unterschrieben hatte, nicht aber im Grundbuch eingetragen war, und dass mein Mann sogar meine Unterschrift gegenüber der Bank gefälscht hatte, um seine Machenschaften zu verschleiern, fand ich Worte für das, was ich erlebte: finanzielle Gewalt. Diese Form der Gewalt kommt unsichtbar, gern in Nadelstreifen daher. Es ist eine kalte Gewalt, verglichen mit der heißen Gewalt, die zuschlägt. Doch auch kalte, stumme Gewalt kann tödlich enden.  

Ich drohte der Bank, die mich nie zu Gesicht bekommen und am Küchentisch hatte unterschreiben lassen, sie wegen Sittenwidrigkeit zu verklagen. Dann schrieb ich das Buch »Bis das Geld euch scheidet« und wollte einen Verein gründen, um Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und betroffene Frauen und Kinder zu unterstützen. Dazu kam es nicht, weil ich mein Leben umkrempeln musste. Ich war mit inzwischen drei Kindern allein, die versorgt werden wollten. Für politisches Engagement bleibt voll berufstägigen alleinerziehenden Müttern kaum Zeit.

Ich hatte eine gute Intuition, die mich im richtigen Moment aus meiner Ehe abspringen ließ. Nach meiner Scheidung wurde ich aus allen Krediten entlassen. So bewahrte ich meine Kinder und mich vor einer Schuldenspirale, in die mein Ex-Mann nun allein strudelte. Seine Schikanen gingen weiter und kosteten viel Nerven Kraft, Energie und auch Geld, denn keine Anwältin arbeitet umsonst. 

Inzwischen sind meine Kinder (fast) erwachsen und ich würde das Thema finanzieller Gewalt am liebsten einfach hinter mir lassen. Bis ich von Frauen lese, die finanziell ausgeblutet oder in Schuldenfallen gestoßen wurden. Dann fühle ich mich verantwortlich, etwas dafür zu tun, dass ein Netz aus Verständnis und Unterstützung entsteht, das sie fängt und dafür sorgt, dass Regeln aufgestellt werden, die finanzielle Gewalt unterbinden. Betroffene Frauen fühlen sich oft nicht als Opfer, sondern denken, sie seien selbst schuld an den Schulden, in die sie gedrängt wurden. Frauen, die zu Schulden gezwungen wurden, sind aber keine Schuldnerinnen, außer auf dem Papier. Wer unter Zwang einen Vertrag unterschreibt, ist zum Opfer finanzieller Gewalt geworden und für die unterschriebenen Inhalte so wenig verantwortlich wie jedes andere Opfer für die Gewalt verantwortlich ist, die ihm angetan wird.  

Als ich am Ende meiner Ehe den Bankangestellten aufgesucht habe, der mich nie gesehen und meine gefälschte Unterschrift mit einem Stempel für richtig befunden hatte, wurde sein Gesicht grau, als ich ihn gefragt habe: »Wie, bitte, haben Sie die Richtigkeit meiner Unterschrift geprüft?« Dann sprang er auf und rannte zu seinem Vorgesetzten. Dieser Moment hat mir gut getan. Denn inmitten der finanziellen Gewalt, die ich erlitten habe, hatte ich einen wichtigen Verbündeten: mich selbst. Mein innerer Kompass funktionierte. Ich wusste, Liebe hat mit Geld nichts zu tun. Einen Kredit nimmt man nicht aus Liebe auf, sondern um sich zum verschulden. Das kann sich nur leisten, wer einen materiellen Gegenwert hat, dessen Verlust zu verschmerzen ist. Alles andere sind Milchmädchenrechnungen, die nur aufgestellt werden, um Frauen über den Tisch zu ziehen. Nicht ich war naiv, sondern mein Ex-Mann war böse. Mir ist wichtig, dass keine Frau sich schämt, weil sie sich finanziell über den Tisch ziehen ließ. Schämen sollen sie sich die, die ihre eigenen Partnerinnen oder sogar ihre eigenen Kinder finanziell betrügen und ausnutzen.

Das Besondere an der finanziellen Gewalt, die ich erlebt habe, ist, dass ich nicht nur In den Augen meines Ex-Mannes, sondern auch für seiner Bank eine zu vernachlässigende Größe war, eine unsichtbare Erscheinung. Diese gewollte und bewusst erzeugte Unsichtbarkeit ist der Hebel für finanzielle Gewalt, und um ihn zu bedienen braucht es mehr als einen gewalttätigen Mann. Es braucht eine Umgebung, die ihn deckt und unterstützt und dafür sorgt, dass finanzielle Gewalt nicht beim Namen genannt wird. Wer kein Wort dafür hat, was ihm widerfährt, kann auch keine Vorkehrungen treffen, um sich zu schützen. 

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